Katharina Bürger (Zum aktuellen Höhlentier des Jahres)
Das Internationale Jahr für Höhlen und Karst in 2021 wurde aufgrund der Corona-Pandemie auf das Jahr 2022 ausgeweitet. Es soll mit einer Reihe öffentlichkeitswirksamer Aktionen auf die Schutzwürdigkeit der Karstlandschaften und ihrer vielfältigen Karsterscheinungen aufmerksam machen. Eine dieser Aktionen ist die Auswahl eines internationalen "Höhlentier des Jahres". Hierzu wurde für 2022 die Gruppe der Fledermäuse ausgewählt, aus der jedes teilnehmende Land eine regional vorkommende cavernicole Fledermaus auswählen und dieses der Öffentlichkeit und den Behörden als "Höhlentier des Jahres" präsentieren kann. Mit der Wahl der Kleinen Hufeisennase will der VÖH darauf hinweisen, dass gerade bei der Erforschung der unterirdischen Ökosysteme und der darin vorkommenden Arten noch ein enormer Handlungsbedarf besteht.
Die Kleine Hufeisennase (Rhinolophus hipposideros) wurde im Jahr 1792 vom deutschen Naturwissenschaftler Moriz Balthasar Borkhausen für die Wissenschaft beschrieben. Gemeinsam mit ihrer größeren Schwester, der Großen Hufeisennasen, sind sie in Österreich die einzigen Vertreterinnen aus der Familie der Hufeisennasen (Rhinolophidae).
Im Sommer nutzt sie vor allem Dachböden zur Aufzucht ihrer Jungen, während sie von November bis März in Höhlen, Stollen und Kellern Winterschlaf hält. Diese Tatsache führte dazu, dass diese Art zum "Höhlentier des Jahres 2022" gewählt wurde. Die Hufeisennase steht für eine große Zahl von Tierarten, die auf geschützte und frostfreie Rückzugsorte unter Tage angewiesen sind.
Die Kleine Hufeisennase hat eine Flügelspannweite von ca. 20 cm. In Ruhestellung wickelt sie ihren Körper zur Gänze in die Flughäute ein, daher ist der namengebende hufeisenförmige Nasenaufsatz nur selten zu erkennen. Die Tiere hängen bevorzugt frei von der Decke oder an den Wänden und werden nie in Spalten angetroffen. Im Winter werden Höhlen, Stollen und Kellern mit Temperaturen von 6 bis 9 °C aufgesucht. Dabei halten sie immer eine gewisse Distanz zu ihren Artgenossen.
In Österreich befinden sich die Wochenstubenquartiere, das sind jene Sommerquartiere, die von einer Gruppe von Weibchen zur Geburt & Aufzucht der Jungen aufgesucht werden, zumeist in warmen Dachböden und Gebäuden. Ausnahmsweise und nur wenn die Bedingungen passen (um der Hitze zu entfliehen und mit einer guten Anbindung an wärmere Standorte), werden in sehr seltenen Fällen auch Höhlen genutzt. Die Männchen übertagen häufiger auch im Sommerhalbjahr in Höhlen, da sie nicht so sehr auf die wärmeren Temperaturen angewiesen sind. Kleine Hufeisennasen sind ausgesprochen standorttreu. Der Aktionsradius beträgt gewöhnlich weniger als 20 Kilometer.
Zur Nahrungssuche werden Wälder, Heckenreihen und Streuobstwiesen aufgesucht und auf dem Speiseplan stehen Nachtfalter, Schnaken, Florfliegen und andere Insekten.
Die Kleine Hufeisennase ist von allen Hufeisennasen am weitesten nach Norden verbreitet. Sie kommt im Mittelmeerraum und nach Norden bis West-Irland und im westlichen Großbritannien vor. Nach großen Bestandseinbrüchen in den 1960er-Jahren ist die Kleine Hufeisennase in Österreich wieder weit verbreitet. Jedoch mit erheblichen regionalen Bestandsunterschieden. Während im Norden die Besiedlungsdichte gering ist, kann sie im Süden (Kärnten, Steiermark) als sehr hoch angesehen werden, in Nordtirol ist von der Kleinen Hufeisennase überhaupt nur eine Restpopulation bekannt.
In vielen Gebieten Europas waren für die Kleine Hufeisennase im letzten Jahrhundert teils dramatische Populationseinbrüche zu verzeichnen. Als Gründe dafür sind vor allem der Einsatz von Giften, Quartier- und Habitatverluste oder auch direkte Verfolgung zu nennen. Erfreulicherweise zeigen aktuelle Populationstrends eine Erholung von Beständen, aber es gibt noch immer viele Regionen, welche die Kleine Hufeisennase bislang nicht wiederbesiedeln konnte. Daher ist sie in ganz Europa streng geschützt und in den Anhängen II & IV der FFH-Richtlinie gelistet. In der Roten Liste gefährdeter Säugetiere Österreichs wird sie als „gefährdet“ eingestuft (Spitzenberger 2005).
Fotos: L. Plan (oben), K. Bürger (mitte und unten).
Weitere Links zum internationalen Höhlentier in den teilnehmenden Ländern: http://iyck2021.org/index.php/cave-animal-of-the-year/