Hermann Kirchmayr wurde im Jahr 1940 in Bad Goisern geboren. Sein Vater fiel in den ersten Kriegsjahren, und so wuchs Hermann in kargen Verhältnissen auf. Nach der Pflichtschule absolvierte er eine Spenglerlehre, anschließend trat er in den Dienst der Österreichischen Gendarmerie. Berufliches und seine Bergleidenschaft kombinierend, war Hermann dann auch bei der Alpingendarmerie tätig und in späteren Jahren zusätzlich als Natur- und Höhlenschutzwacheorgan des Landes Oberösterreich unterwegs.
Bereits in seiner Jugend war Hermann von den heimatlichen Bergen und den darin befindlichen Höhlen fasziniert – seine höhlenforscherische Heimat waren dabei das Tote Gebirge, das Höllengebirge und der Dachstein.
Hermann war staatlich geprüfter Höhlenführer und erkannte im Rahmen seiner Höhlenforschertätigkeit früh die Notwendigkeit einer organisierten und überregionalen Rettungseinrichtung für Höhlenunfälle. Da Hermann das österreichische Höhlenrettungswesen maßgeblich geprägt hat, hier ein kleiner Einschub zur Geschichte der österreichischen Höhlenrettung:
Bereits in den 1960er Jahren wurde von einigen Höhlenforschern die Notwendigkeit von organisierten Rettungsmaßnahmen nach Höhlenunfällen erkannt. Bis zu diesem Zeitpunkt verfügten nur einzelne Vereine über einige wenige Spezialisten, denen die Rettung eines Unfallopfers aus einer Höhle zuzumuten war. Das Retten verstand sich damals eher als erweiterte Kameradenhilfe. Die notwendigen Ausrüstungsgegenstände bestanden zumeist aus veralteten, ausgedienten oder auch selbstgefertigten Gerätschaften. Im Ernstfall mussten Forscherkameraden aus benachbarten Vereinen angefordert werden, was bei den damaligen Möglichkeiten der Kommunikation schwierig war. Rettungsmaterial musste von anderen Rettungsorganisationen, wie Feuerwehr, Bergrettung und Rotem Kreuz, angefordert werden. Hier erkannte man aber bald, dass deren Gerätschaften bei Einsätzen in der Höhle nur bedingt brauchbar waren, sie waren ja auch nicht dafür gedacht.
Das Ereignis, das die Notwendigkeit einer vereinsübergreifenden Organisation aufzeigte, war der tödliche Unfall des Höhlenforschers Kurt Schneider bei seinem Alleingang im September 1965 in den Gasteiner Bergen. Die fünftägige Suche der Bergrettung und der Alpingendarmerie war zunächst erfolglos geblieben. Man entschloss sich daher, einige Höhlenforscher anzufordern, was damals, wie erwähnt, ein mühsames Unterfangen war. Es gab keine verlässlichen Kontaktdaten, sodass nur wenige Personen erreicht werden konnten. Schließlich wurde man in Oberösterreich fündig. Nach elf Tagen konnte der Leichnam von Kurt Schneider geborgen werden.
Albert Morocutti aus Salzburg, der auch bei der Bergrettung aktiv war, drängte auf die Gründung einer vereinsübergreifenden Höhlenrettung, um der Tatsache, dass bisher ein Verletzter in einer Höhle nur auf die Hilfe seiner Kameraden hoffen konnte, begegnen zu können. Vorbilder waren die damals schon gut aufgestellten Höhlenrettungen in Belgien und in Frankreich. Auch in Großbritannien gab es einsatzfähige Grubenrettungen, die sich auch bei Höhlenunfällen bewährt hatten.
Beim Höhlenforscherkongress 1965 im damaligen Jugoslawien wurde auch das Thema einer österreichischen Höhlenrettung behandelt. Es wurde für 13. November 1965 eine Zusammenkunft in Linz vereinbart, wo sich schließlich 30 Mitglieder aus den Höhlenvereinen aus Salzburg, Oberösterreich, Tirol, der Steiermark und aus Wien und Niederösterreich trafen. Hier wurden unter anderem die Erstellung von Alarmplänen, der Austausch von Listen des vorhandenen Rettung - und Befahrungsmaterials und die Durchführung gemeinsamer Rettungsübungen beschlossen. Dem Aufruf zur Mitarbeit kamen praktisch alle dem Verband Österreichischer Höhlenforscher angeschlossenen Vereine nach. Es war auch Albert Morocutti, der ein 10 Punkte umfassendes Programm vorlegte, das bereits die heutigen Ansprüche, die an Rettungsorganisationen gestellt werden, vorwegnahm, auch wenn die damals zur Verfügung stehenden Mittel nicht mit denen von heute zu vergleichen sind!
Albert Morocutti war auch der erst Leiter der Österreichischen Höhlenrettung. 1969 übernahm Hermann Kirchmayr die Höhlenrettung in Oberösterreich und folgte auf Vorschlag von Karl Trotzl 1971 Albert Morocutti für die gesamte Höhlenrettung in Österreich nach. Hermann beschäftigte sich auch mit dem Bau von Bergegeräten für den Höhleneinsatz, da es keine Angebote aus industrieller Fertigung für diese Verwendung gab. Im Februar 1972 baute er für die oberösterreichische Höhlenrettungstruppe eine Rettungstrage aus Eisenblech, wobei ihm seine Erfahrung als gelernter Spengler zugutekam. Im Mai desselben Jahres folgte eine Trage aus Aluminium, die im Schwarzenbachloch bei Bad Goisern und im Großen Loserloch bei Altaussee ihre Tauglichkeit unter Beweis stellte. Bei dem Einsatz im Loserloch handelte es sich um die erste gesamtösterreichische Rettungsübung unter der Einsatzleitung von Hermann. Diese Übung wurde damals vom ORF dokumentiert.
Zehn Jahre nach der Gründung der Österreichischen Höhlenrettung in Linz wurde das Höhlenrettungswesen 1975 vom VÖH aufgegriffen und es wurde die VÖH-Fachsektion „Höhlenrettung“ zur Koordination der Belange der Höhlenrettung in Österreich gegründet. Zum Fachsektionsleiter wurde fast logischerweise Hermann Kirchmayr bestellt.
Nur wenige Wochen später ereignete sich am 12. August 1975 ein Unfall im Ahnenschacht im westlichen Toten Gebirge: Ein 22-jähriger belgischer Höhlenforscher erlitt in 349 Meter Tiefe durch Ausbrechen eines Griffes einen Beckenbruch. Es begann daraufhin die bis dahin größte und schwierigste Rettungsaktion in Österreich, die für die damals noch junge Österreichische Höhlenrettung die Feuertaufe bedeutete. Die österreichischen Retter wurden durch Retter des Vereines für Höhlenkunde in München, die von Salzburg aus alarmiert worden waren, ferner durch Mitglieder einer polnischen Forschergruppe, die im Raum Salzburg forschte und einer französischen Gruppe, die auf der Tauplitz unterwegs war, unterstützt.
Befahrungs– und ausrüstungstechnisch war dieser Einsatz ein Wendepunkt in der Geschichte der österreichischen Höhlenrettung und auch Höhlenforschung. Die Belgier und die Franzosen beherrschten schon die Einseiltechnik, die bei uns noch in den Kinderschuhen steckte - damals wurden in erster Linie noch Stahlseilleitern zum Auf– und Absteigen verwendet. Zur Bergung des Verunfallten war ein Stahlseilgerät im Einsatz, wie es bei Außenbergungen im alpinen Gelände üblich war. Letztlich konnte der Einsatz mit der Rettung des verletzten Höhlenforschers nach vier Tagen erfolgreich beendet werden. Die Einsatzleitung hatte auch hier wieder Hermann Kirchmayr übernommen.
Die relativ junge österreichische Höhlenrettung sah sich noch längere Zeit mit verschiedenen Problemen konfrontiert. Die Mitglieder rekrutierten sich, wie auch heute noch, aus den Reihen der aktiven Forscher. Diese mussten erst langsam davon überzeugt werden, dass das Mitarbeiten bei der Höhlenrettung letzten Endes in ihrem eigenen Interesse war. Auch die finanziellen Mittel waren begrenzt, da eine Förderung durch die öffentliche Hand, zumindest, solange die Höhlenrettung nicht im Katastrophenplan der einzelnen Bundesländer aufschien, einem Lotteriespiel glich. Oft mussten die Höhlenretter für das Rettungsmaterial selbst aufkommen. Auch hier konnte oft Hermann mit seiner Erfahrung im Umgang mit Behörden, die er auf Grund seines Berufes als Gendarmeriebeamter erworben hatte, einiges bewirken.
Am 16. November 1991 wurde in Bad Ischl der Bundesverband der Österreichischen Höhlenrettung gegründet. Dieser übernahm im Einvernehmen mit dem VÖH alle Kompetenzen der Fachsektion „Höhlenrettung“, die im Anschluss daran aufgelöst wurde. Im Bundesverband bekleidete Hermann die Funktionen des Obmannes, dessen Stellvertreters und des Schriftführers. In diesen Funktionen konnte er seine berufliche Erfahrung im Umgang mit Behörden voll einbringen. Auch die Aufnahme der österreichischen Höhlenrettung in das Kuratorium für Alpine Sicherheit wurde von ihm organisiert.
In den Folgejahren war Hermann als verlässlicher Mentor in Höhlenrettungsfragen tätig und konnte hier auch durch seine Kontakte im Ausland punkten, bis er sich, nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen, 2011 zurückzog.
Hermann Kirchmayr war es aber auch, der bereits 1985 eine Tauchgruppe im Rahmen der Oberösterreichischen Höhlenrettung aufgestellt hat. Anlass war unter anderem die Tragödie in der Steinbachquelle bei Hollenstein an der Ybbs (NÖ) im April 1984, bei der zwei Taucher zu Tode kamen. Hermann war dabei in seiner Funktion als tauchkundiger Exekutivbeamter mit der Einsatzleitung beauftragt. Auch bei den Tauchunfällen im Pießling-Ursprung 1987 und im Kessel bei Hallstatt 1993, beide OÖ, war er aktiv dabei.
Auch in seiner engeren Heimat war Hermann Kirchmayr unermüdlich unterwegs. Er gründete 1972 die „Forschergruppe Gmunden“, die er bis 2011 leitete und die bis heute besteht und widmete sich intensiv seinem geliebten Höllengebirge und dort insbesondere der Hochlecken-Großhöhle, dem Toten Gebirge und dem Dachstein. Der Höllengebirgs-Forschungsboom der letzten Jahre ist seinen Hinweisen auf interessante, noch zu erforschende Löcher in dieser vorher etwas stiefmütterlich behandelten Gegend zu verdanken.
Da Hermann der Höhlenschutz sehr am Herzen lag, ließ er sich zum Oberösterreichischen Naturwacheorgan ausbilden. Er nahm nicht nur die Kontrolltätigkeit, sondern vor allem seine Informationsaufgabe sehr ernst. Auf seine Initiative wurden einige Höhlen zum Naturdenkmal erklärt und es wurden zum Schutz vor illegalen Befahrungen Absperrgitter eingebaut.
1998 wurde Hermann Kirchmayr vom Verband Österreichischer Höhlenforschung für die Verdienste um die Österreichische Höhlenrettung mit dem höchsten Verdienstzeichen des VÖH, dem Goldenen Höhlenbären, ausgezeichnet.
Abgesehen von all seinen fachlichen Leistungen war Hermann ein verlässlicher und kameradschaftlicher Höhlenforscher, der jede Situation souverän im Griff hatte. Er zeichnete sich aus durch Akribie und Planungstalent, welches er bei der Organisation zahlreicher Vereinsausflüge im In- und Ausland unter Beweis stellte. Er war ein Mensch mit Ecken und Kanten wie andere auch und hat mit seiner Direktheit vielleicht manche Mitmenschen vor den Kopf gestoßen; seine Freunde und Höhlenkameraden wussten allerdings seine Ehrlichkeit und Konsequenz zu schätzen. Hermann verstand es, sein umfangreiches Wissen über Befahrungstechnik, Geologie, Geomorphologie und Dokumentation weiterzugeben – Hermann war immer bereit, seine Erkenntnisse zu teilen, und freute sich über jedes Forschungsergebnis seiner Höhlenkameraden.
Mit Hermann Kirchmayr ist einer der Pioniere der Österreichischen Höhlenrettung und ein gewissenhafter Höhlenforscher von uns gegangen. Wir werden sein Andenken in Ehren halten.
Gottfried Wolfram