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Jiři Vokáč (Stajgr; 1962–2017)

Jiri Vokac

Es war im März 2012, auf meiner ersten Tour in die Hirlatzhöhle, als ich Stajgr kennen lernte. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Tour – ich war etwas nervös, weil ich zum ersten Mal in die berühmte Hirlatzhöhle mitgehen durfte, noch dazu in Begleitung zahlreicher bekannter und namhafter Höhlenforscher, die ich alle nur flüchtig kannte. Wir trafen uns also am Parkplatz beim Simonydenkmal, eine ganze Schar von Höhlenforschern, und darunter auch ein grauhaariger, etwas schüchtern wirkender Mann, der sich mir als „Stajgr“ vorstellte. Ich hielt ihn aufgrund seiner Schweigsamkeit und seines etwas ungewöhnlichen Akzentes anfangs für einen Schweizer und kam erst am zweiten Tag der insgesamt dreitägigen Biwaktour dahinter, dass Stajgr aus Pilsen in Tschechien war, und da Deutsch nicht seine Muttersprache war, legte er sich beim Sprechen jedes Wort mit Bedacht zurecht, was mitunter zu kuriosen und liebenswerten Wort- und Satzkonstrukten führte. Doch dazu später. Jedenfalls wurde auf dieser denkwürdigen Tour der Grundstein gelegt für eine besondere Freundschaft, die leider nur knapp sechs Jahre dauern durfte. Ich möchte gar nicht damit anfangen, Stajgrs höhlenforscherische Leistungen alle aufzuzählen – das können andere besser. Vom Beruf Bergmann (daher auch sein Spitzname – Stajgr arbeitete in jüngeren Jahren als Steiger im Bergwerk) hat ihn die Welt unter der Erde fasziniert. Man möchte meinen, dass jemand, der viele Jahre lang hart im Bergwerk gearbeitet hat sich nach Beendigung dieser Tätigkeit lieber eine Freizeitbeschäftigung im Beim Zustieg zum Geldloch, Juni 2016 Tageslicht suchen wird, aber nicht so Stajgr. Fasziniert von der „Unterwelt“ hat er mit großer Begeisterung in seiner Freizeit Bergwerke und Höhlen besucht und erforscht – er war beim Forschungslager auf der Ischlerhütte mit dabei, im Riesending, wo er auch an Johann Westhausers Rettung beteiligt war und die Neue Welt im Geldloch verdankt ihm so manchen Schlot. Schlotklettern war Stajgrs Leidenschaft – Stundenlang hing er in senkrechten Wänden, oft im Sprühregen, so lange, bis alles vorhandene Material verbraucht war, was ihm – in Anlehnung an einen Höhlenteil im Geldloch – von mir den Spitznamen „unser Schlotmonster“ eingebracht hatte. Stajgr meinte, wenn man ihn diesbezüglich lobte, nur ganz bescheiden: „Ich bin kein Held“. Ein Held, das wollte er nie sein und manchmal rügte er mich, wenn ich allzu „neulandgeil“ und überhastet vergaß, die nötige Sicherheit beim Seileinbau zu wahren. Manchmal bezeichnete er sich als Pechvogel, wenn ein Schlot nach stundenlanger Arbeit in unbefahrbar engen Spalten endete, aber manchmal kam er auch selig grinsend wieder herunter und meinte: „Ich bin ein Glückspilz!“ Nämlich dann, wenn ein Schlot wider Erwarten in Neuland führte. Und so gibt es in der Neuen Welt im Geldloch direkt neben dem Pechvogelschlot auch einen Glückspilzschlot. Nur einmal habe ich es erlebt, dass Stajgr die Arbeit im Schlot verweigerte. Er hatte schon ein paar Stunden im feuchten Gießkannenschlot im Geldloch gearbeitet und musste triefnass herunter kommen, als seine Bohrmaschine nicht mehr funktionierte, da aus dem Bohrfutter das Wasser floss. Ich bot ihm an, doch mit meiner – noch trockenen – Bohrmaschine weiter zu arbeiten, Stajgr meinte nur kurz angebunden: „Nein.“ Ich konnte es ihm nicht verübeln. In einem Schlot im Warwas-Glatzen-Höhlensystem fand Stajgr dann auch sein tragisches Ende, als er bei einem Sturz aus großer Höhe am 30.10.2017 ums Leben kam. Stajgr war ein überaus lebensfroher Mensch, der gerne gesungen und Gitarre gespielt und seine Zeit in der Natur verbracht hat, und zur Erinnerung an die schönen Zeiten mit ihm hier ein paar „Momentaufnahmen“: ... als wir am Morgen im Biwak im Fledermausschacht den Tagesplan besprachen und ihn fragten, was er denn gerne machen würde und er antwortete: „Ich warte auf Befehle.“ … als ich ihn im Vorfeld einer Hirlatztour fragte, wer denn mitkäme und er meinte: „Bist du, bin ich, ist Beni. Und ein Weib.“ Als wir dann am Parkplatz ausstiegen, kam uns gerade Jenni Langer entgegen und er meinte freudig: „Da ist das Weib!“ … als er im Geldloch einen Schlot hinunter kam und begann, im Hauptgang zu verschwinden und er auf meine Frage, was er denn mache, antwortete: „Muss schauen“ und als er dann einige Minuten später zurück kam und auf meine Frage, was er denn getan habe, antwortete: „Habe geschaut“. … als er einer Freundin, die über den Sommer sehr beschäftigt war, gesagt hat: „Ich sehe, du hast nicht gegammelt.“

Jeder, der mit Stajgr unterwegs war, wird einige dieser liebenswerten „Stajgerismen“ kennen. Und wenn man in der Höhle auf einmal von irgendwoher jemanden singen hörte: „Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt, und er hat sein helles Licht bei der Nacht, und er hat sein helles Licht bei der Nacht, schon angezünd’t, schon angezünd’t“ (Bergmannslied), dann wusste man, ja, der Stajgr kommt. Für mich ist es noch immer unbegreiflich, dass der Stajgr nun nicht mehr kommen wird, aber ich möchte probieren, mir die Erinnerung an unsere gemeinsamen (viel zu wenigen) Höhlentouren lebendig zu halten. Darum diesmal nicht Glück tief sondern Glück auf!

Barbara Wielander


Edith Bednarik (1935—2017)

Edith Bednarik

Als sich eine Studentengruppe der Uni-Wien Anfang der 1980er Jahre gemeinsam mit ihren Betreuern bei der Emmahütte auf der Schönbergalpe für eine Exkursion in die Dachstein-Mammuthöhle vorbereitete, erschien in der schneebedeckten Karstlandschaft plötzlich eine einigermaßen lehmverschmierte und durchnässte Gruppe von Höhlenforschern, deren Anblick einige Höhlenneulinge erschreckt und verwundert haben mag. Unter den Höhlenforschern, die viele Stunden lang die „Dampfenden Schächte“ erkundet hatten, war auch eine Frau mittleren Alters – Edith Bednarik – die auch nach der durchaus langen und anstrengenden Tour immer noch quietschvergnügt von Erlebnissen und Erschwernissen berichtete, die wir Studenten in den folgenden Stunden während unserer vergleichsweise einfachen Tour nur erahnen konnten. Nur einige Monate später konnte der Berichterstatter Edith auch während der traditionellen „Raucherkar-Forschungswoche“ im Toten Gebirge „live“ erleben. Auch hier ist sie mir als rastlose Forscherin mit einer eigenwilligen, aber durchaus effizienten Steigtechnik noch gut in Erinnerung. Ihre Statistik der Höhlenfahrten ist ebenfalls eindrucksvoll: Blickt man in die „Höhlenkundlichen Mitteilungen“ des Landesvereins (Wien & NÖ), so ist sie in den 1970/1980er Jahren zumeist an der Spitze der Statistik der Höhlenfahrten zu finden.

Vielleicht war dies auch ein Ausgleich zum Berufsleben – Edith war lange Jahre Direktorin der Landesberufsschule in Theresienfeld (NÖ) – wenn sie auch unter der Woche in den Höhlen im südlichen Wiener Becken unterwegs war. Hier und auch in den angrenzenden Gebieten der Nördlichen Kalkalpen war sie für die umfangreichen Katasterbücher des Landesvereins eine verlässliche Mitarbeiterin sowie versierte Vermesserin und Planzeichnerin, die gerade dabei den Blick für das Wesentliche bewahrte. Das im Zuge Juli 1998 dieser umfangreichen Arbeiten aufgesammelte Knochenmaterial ließ sie dem Naturhistorischen Museum Wien zukommen und wurde von diesem 1979 zur „Korrespondentin“ ernannt (für jüngere Leser: heute würde sie wohl dem Bereich „Citizen Science“ zugerechnet werden).

Obgleich sie weit über den Arbeitsbereich des Landesvereins hinaus in Höhlen im In- und Ausland unterwegs war, ist sie vielen Höhlenforschern aber wohl besonders als eines der „Urgesteine“ der Österreichischen Höhlenrettung – etliche Hochs und Tiefs dieser gelegentlich emotionsdurchsetzten Organisation überdauernd – bekannt. Die auch heute noch gültige Vorwahl des Notrufs der Österreichischen Höhlenrettung (02622) weist eindeutig auf die Handschrift Ediths hin – es ist jene ihrer Heimatgemeinde. Sie war lange Zeit Leiterin der entsprechenden Fachsektion des VÖH und besserte das damals recht dürftige Budget mit verschiedensten Aktionen und Flohmärkten beharrlich auf. Etliche Zeitungsausschnitte im Archiv der KHA zeugen von der Öffentlichkeitswirkung ihrer Aktivitäten. Edith Bednarik war in ihrer Heimatgemeinde auch politisch tätig, ihre Aktivitäten umfassten dort aber vornehmlich soziale und kulturelle Themen, wofür sie vom Land Niederösterreich mit der Goldenen Medaille für Verdienste um das Bundesland geehrt wurde.

Bei allem Interessanten und Abwechslungsreichen blieb ihr Leben auch von Tragischem nicht verschont – eine lange schwere Krankheit mit mehreren Rückschlägen sowie zuletzt der tragische Tod des Sohns im Jahr 2011 waren wohl auch mit verantwortlich, dass sich Edith in den späteren Jahren ausschließlich den befahrungstechnisch weniger anspruchsvollen Erdställen zuwandte. Zwar war und ist auch dieses Forschungsthema durchaus keine konfliktfreie Materie, doch Edith konzentrierte sich dabei vornehmlich auf die gewissenhafte Dokumentation und war eine anerkannte Spezialistin für diese nach wie vor etwas rätselhaften unterirdischen Objekte. Es ist daher besonders traurig, dass sie dieses Lebenswerk aufgrund des Desinteresses sämtlicher kontaktierter Verlage nicht in einer umfassenden Publikation darstellen konnte.

Rudolf Pavuza

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